14. November 2024, Aktuelles

Die Masse bekommt meistens recht

Der heute gewählte Titel mag Widerspruch herausfordern. Ich habe mir überlegt, ihn anders zu formulieren, nämlich: «die Masse setzt sich meistens durch». Das wäre aber nicht was ich meine. Ich meine, dass sie tatsächlich recht bekommt im Sinne, dass ihre Einschätzung wichtiger Entwicklungen in komplexen Systemen meistens zutreffender ist als jene einzelner Personen. Diese Auffassung deckt sich zumindest an der Börse mit jener von Professor Andrew Lo, der rät, sich der Masse anzupassen – ausser wenn sie zum Mob degeneriert. Wie die Geschichte zeigt, kommt das vor, allerdings eher selten, weshalb es sich auch nur selten lohnt, als Contrarian zu agieren. Dieser Beitrag handelt heute von den Massen, die recht bekommen haben.

Die Wahl von Donald Trump zum 47. Präsidenten der USA ist die Überraschung, die eigentlich keine war. Zwar haben die Meinungsumfragen ein Kopf an Kopf Rennen prognostiziert. Viel zuverlässiger als Meinungsumfragen sind bekanntlich die Wettplattformen, auf welchen mit dem Einsatz harter Dollars auf den Erfolg einer Kandidatin oder eines Kandidaten gewettet wird.

 

Diese Plattformen heissen zum Beispiel Polymarket, Kalshi oder Predictit.

 

Auf allen drei wurde mit grosser Mehrheit auf den Sieg von Donald Trump gesetzt. Kurz vor dem Wahltermin wurden Wetten auf Polymarket, zum Beispiel, im Umfang von knapp 3.2 Milliarden US Dollar ausgewiesen. Auf den Sieg von Donald Trump wurden 2.3 Milliarden gesetzt, auf den Sieg von Kamala Harris 0.827 Milliarden.

 

Dass die Schätzungen der Massen in komplexen Systemen, wie Wahlen in einer Demokratie, Konjunkturprognosen oder Börsenentwicklungen meistens zutreffender sind als jene einzelner Personen ist vielfach belegt.

 

James Suroviecki beschreibt viele Vorgänge in diesem Sinne in seinem Buch «The Wisdom of Crowds».

 

Warum dem so ist, versteht man besser wenn man «The Social Life of Information» von John Seely Brown und Paul Duguid gelesen hat.

 

Dass dieses soziale Leben sich nicht immer «rational» ausbreiten muss, beschreiben Ori und Rom Bronfman in «The Irresistible Pull of Irrational Behavior».

 

Manche richtige Vorwegnahme künftiger wirtschaftlicher Entwicklungen durch die Aktienbörse mag wenig mit Irrationalität und noch weniger mit Clairevoyance zu tun haben als ganz einfach damit, dass Aktienkurse und wirtschaftliche Erwartungen sich gegenseitig beeinflussen, und damit auch die Handlungsweise der wirtschaftlichen Akteure. Davon ist George Soros überzeugt. Er hat darüber in mehreren seiner Bücher, darunter in «The New Paradigm for Financial Markets», geschrieben und wird mittlerweile in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten zustimmend zitiert.

 

Eines unter vielen Beispielen für akkurat massengenerierte Marktsignale setzte sich im September 2022 durch. Ich habe darüber im Newsletter September 2022 unter dem Titel «Der Blick nach innen» geschrieben. Seither ist entgegen den meisten Prognosen die Inflation zurückgegangen, die Konjunktur ist nicht hart gelandet, und der MSCI Welt hat nicht ein kurzes Bärenmarktrallye hingelegt, sondern einen Aufwärtstrend der 60% Gewinn gebracht hat.

 

Smart Money setzte auf Trump

 

Auch aktuell baute sich am Markt vor den Wahlen relative Stärke in Sektoren auf, die nach bekannt werden des Wahlausgangs mit gesteigerter Nachfrage eingedeckt wurden: Banken, Finanzdienstleister allgemein, der Industriesektor, Aktien mittelgrosser und kleinerer Unternehmer, Technologie, um nur die wichtigsten zu nennen.

 

Alles Bereiche, die man auf Grund teilweise lange bestehender und teilweise neulich erwachter relativer Stärke vor der Wahl bereits haben musste. Nach der Wahl auch – aber man sollte nicht in der Lage, sie erst kaufen zu müssen.

 

Smart Money setzte vor der Wahl auf «Trump-Aktien». Nach der Wahl sind Populationen dazu gekommen, die auf Nachrichten zu reagieren pflegen.

 

Europas Schwäche ist hausgemacht

 

In Europa leiden die Indizes. Aber die gleichen Sektoren, von denen angenommen wird, dass sie vom Trump-Bonus profitieren, setzen sich auch in Europa sehr gut in Szene. Das genügt allerdings nicht, um die europäischen Indizes anziehen zu lassen. Und da kommt dann die europäische Schwäche zum Ausdruck, die schon lange besteht, denn der DJ Stoxx Europe 600 ist seit März 2023 relativ schwach zum S&P 500, und das zieht sich in grösserem oder kleinerem Ausmass durch ganz Europa durch. Man sieht die europäische Schwäche auch in der Marktbreite, die in Gesamt-Europa Ende Oktober bei 59.6% lag gegenüber 54.1% heute. In den USA lag die Marktbreite Ende Oktober so wie jetzt auf rund 75%.

 

Ein Ende der relativen Schwäche Europas zu Nordamerika und insbesondere zu USA steht meines Erachtens nicht an. Wenn die Personalentscheide des gewählten Präsidenten konkrete Formen annehmen, kann es zu weitern Reaktionen in den Aktienmärkten nicht nur in den USA, sondern auch in Europa kommen. Das dürfte dann wieder dem berüchtigten Verhalten zuzurechnen sein, dass in Eile gehandelt wird um dann in Weile bereuen zu müssen. Das relativ schwache Europa ist in diesem Zusammenhang besonders vulnerabel. Währungsbereinigt hat der S&P 500 seit Beginn der relativen Schwäche des DJ Stoxx Europe 600 die sechsfache Performanz des Stoxx 600 hingelegt. Das müsste allen, die für Europa Verantwortung tragen, zu denken geben. Womöglich haben böse Zungen recht, die sagen, dass Amerika investiere, China innoviere und Europa reguliere.

 

Alfons Cortés, Senior Partner 

 

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