Es ist nunmehr genau ein Jahr vergangen, seit Donald Trump zum 47. Präsidenten der USA gewählt wurde. Im kurz danach verfassten Newsletter kommt ein Satz vor, der mehrmals im Verlauf der letzten zwölf Monate seinen Nutzen demonstriert hat: «Das dürfte dann wieder dem berüchtigten Verhalten zuzurechnen sein, dass in Eile gehandelt wird um dann in Weile bereuen zu müssen.»
Den grössten Schock des Jahres stellte wohl die Vorstellung der «Zolltabelle» des Präsidenten am 2. April dar. Sie löste eine sofortige Reaktion an den Aktienmärkten aus. Der DJ Stoxx Europe 600 beispielsweise schloss am 2. April, bevor die «reziproken Zölle» bekannt waren, auf 536.92 Punkten. Bis zum 7. April war er um 19.12% gefallen. Mittlerweile notiert er 23% höher. Andere Indizes haben nach einem vergleichbaren Absturz deutlich mehr zulegt. Der Nikkei 225 ist um 70% gestiegen, der südkoreanische KOSPI um 84%. Der extrem breit verfasste MSCI Welt hat immerhin 35% zugelegt.
Viele meinen, an den Aktienmärkten sei Eile geboten. Das Gegenteil ist der Fall. Kaum je genügt eine einzige Meldung, um sie sofort in das gesamte vorhandene Informationsgeflecht einzubauen und ihre Bedeutung zu interpretieren. Und in keinem Fall kann man auf die Schnelle abschätzen, wie die überlegt vorgehenden Populationen eine neue Meldung vernetzen und beurteilen werden. Schliesslich ist in einem dynamischen und bis zu einem gewissen Masse selbstreferenziellen System wie die Aktienmärkte die kapitalgewichtete Meinung anderer Populationen nicht zu unterschätzen.
Überreaktionen sind eine wesentliche, wenn nicht die Hauptursache dafür, dass vielfach die vom Markt gebotene Chancen nicht ausgeschöpft werden.
Es gibt zwei Gründe, warum ich gerade jetzt das Thema aufgreife. Einer liegt darin, dass in Zeiten, in denen viele alte Gewohnheiten ihre Bedeutung verloren haben oder im Begriffe sind, sie zu verlieren, die Neigung erhöht sein kann, am Nachrichtentropf hängend aus Angst vor nicht abzuwendendem Schaden Entscheide zu treffen – wie im April dieses Jahres erlebt.
Den zweiten Grund liefert der Markt selber. Unter der glatten Oberfläche steigender Indizes haben sich auf Ebene einzelner Aktien erratisch Kursbewegungen eingeschlichen. Was damit gemeint ist zeigt folgendes Zitat aus dem Global Sector Monitor Information Technology vom 4. November: «Dreissig Prozent – das ist die Quote extremer Kursbewegungen unter den Konstituenten des MSCI Information Technology in den letzten fünf Handelstagen. Dabei sind 6.3% zwischen 5 und 12.76% gestiegen und 16.9% sind zwischen 5 und 48.55% gefallen. Das sind Daten die eine hohe Verunsicherung im Sektor verraten.» Das hierin beschriebene Muster hat sich vor vier Wochen in mehreren, nicht in allen, Sektoren eingestellt. Wenn es auf mehrere hochkapitalisierte Aktien überschwappt kann es zu heftigen Kursbewegungen auf Ebene der Indizes kommen die verängstigte Anleger zu unüberlegten Überreaktionen verleiten.
Die Natur von Trends und die Bedeutung von Konsolidierungen
Dabei muss der Charakter von Trends bedacht werden. Trends in breit konzipierten Märkten sind das Ergebnis davon, dass Leute mit unterschiedlichen Ansätzen zu weitgehend übereinstimmenden Erwartungen gelangen, dies, und das sei hier betont, obwohl sie sich hinsichtlich der Methodik, wie sie zu ihren Erwartungen kommen, niemals einig sein werden.
Solange immer wieder Konsolidierungen einsetzen und diese zu leichten Präferenzverschiebungen führen, werden die Erwartungen immer wieder neu an sich aus der Daten- und Informationsfülle ergebenden Erkenntnissen sukzessive angepasst.
Bleibt dieser Justierungsprozess aus, tritt das ein, was Professor Andrei Shleifer, der Finanzökonomik an der Harvard Universität forscht und lehrt, in seinem Buch «Inefficient Markets. An Introduction to Bahavioral Finance» als Konservatismus bezeichnet.
Darunter versteht er die Entstehung und oft lange Beibehaltung von Kursen, die wesentlich von dem abweichen, was etablierte Modelle als «faire Preise» ermitteln. Die Aufhebung von Fehlbewertungen als Folge von Konservatismus erfolgt im Vergleich zu den sich verändernden fundamentalen Daten zu langsam, da neue Erkenntnisse sich nur zögerlich durchsetzen. Preisrückkoppelungen wirken auf das Verständnis des ökonomischen Geschehens in der Weise, dass in gewissen Marktphasen neue Meldungen, die im Widerspruch zu eindrücklichen alten Erfahrungen stehen, nur langsam in das Wissenskonstrukt übernommen werden.
Das Resultat stellt sich in Trendakzeleration ein die einer sorglosen Population keine Zeit lassen für Reflektionen – die als Konsolidierungsmuster in den Charts daherkommen.
In Konsolidierungen zu verkaufen, ergibt keinen Sinn. Erst wenn die Erholung aus einer Konsolidierung technisch schwach ist, erkennt man, dass manche Populationen im Anpassungsprozess neue Erwartungen gebildet haben und mit dem Gros der anderen Populationen nicht mehr mithalten wollen. Erst diese Folge von Trendakzeleration – Rückschlag – technisch schwacher Erholung lässt auf ein Ende, wenn auch nicht zwingend eine Wende eines Aufwärtstrends schliessen.
Alfons Cortés, Senior Partner