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Hier anmeldenDie Börsenkurse fallen nach starken Avancen zurück. Börsenbewegungen allein mit ökonomischen Daten und Perspektiven erklären zu wollen, greift zu kurz. Es kommt eine zusätzliche Dimension hinzu, nämlich die Ordnung, die das System Börse sich selbst gibt. Darauf geht dieser Beitrag ein.
Die Rolle des Systems
Die Experimente, die der Ökonom Vernon Smith mit Studenten, Börsenhändlern, Akademikern und anderen Populationen durchführte und die ihm 2002 den Nobelpreis eintrugen, legt imitatives Verhalten von Probanden offen, die den intrinsischen Wert von fiktiven, in einem offenen Kommunikationssystem gehandelten Wertpapieren mit determinierten Laufzeiten und Erträgnissen benennen sollten. Die einzige Kommunikation unter den Probanden waren die Preise. Zumeist wurden 15 gleich lange Perioden zwischen jeweils gleich hohen Ausschüttungen vorgesehen. Die per Computer eingegebenen Preise über die Laufzeit wichen stark von der fix kalkulierbaren Wertentwicklung ab. Erst gegen Ende der Laufzeiten konvergierten die Preise mit dem intrinsischen Wert. Die Abweichungen waren die Folge positiver Rückkoppelungen und führten zu spekulativen Blasen obwohl jederzeit der genaue intrinsische Wert hätte berechnet werden können. Das pikante daran: Die Probanden wurden über die à priori festgelegte Wertentwicklung vor Aufnahme der Experimente informiert! Smith wurde von Experimenten, die der Sozialpsychologe Philip Zimbardo an der Stanford Universität durchgeführt hatte, inspiriert. Diese zeigten, dass, wie er im Buch " Der Luzifer-Effekt" ausführlich darlegt, "Systeme Situationen [schaffen], die wiederum individuelle Verhaltensreaktionen schaffen". Statt den homo oeconomicus zu bestätigen, kam der pfadabhängig lernende Mensch in den Experimenten von Smith genauso zum Vorschein wie in jenen von Zimbardo.
Der renommierte Komplexitätsforscher Didier Sornette zeigt in seinem Buch "Why Stock Markets Crash. Critical Events in Financial Systems", dass das Finanzsystem sui generis gewisse Konstellationen herbeiführen muss damit exogene Einflüsse (sprich: Nachrichten, Mitteilungen, Meldungen, schlicht: Informationen verschiedener Provenienz) zu Kurskaskaden führen. (Aus meiner Erfahrung stimmt das nicht nur für "Crashs", sondern auch für sich nach einer Baisse bildende Voraussetzungen für Hausse-Märkte). Es sind mehrschichtige marktgenerierte Daten die auffällige Muster aufweisen die ich der Einfachheit halber als Brennpunkte bezeichne. Diese sind die Folge der Handlungen der Marktteilnehmer, und gleichzeitig beeinflussen sie deren Wahrnehmung und Wertung bekannter Informationen aus verwandten Systemen, wie Wirtschaft, Rechtsprechung, Politik, wie aufgrund der Experimente von Zimbardo und Smith nicht anders zu erwarten ist.
Unterscheidung zwischen "technischen Reaktionen" und "Bärenmärkten"
Nicht alle beunruhigenden Nachrichten lösen einen Bärenmarkt aus. Nicht alle Kursrückschläge sind Bärenmärkte. Die meisten stellen lediglich sogenannte technische Korrekturen in Aufwärtstrends dar. Diese von Bärenmärkten zu unterscheiden, ist von grosser materieller Bedeutung, denn nach Korrekturen wird der bislang geltende Trend fortgesetzt, gelegentlich nur für kurze Zeit, bevor tatsächlich ein Bärenmarkt beginnt. Bärenmärkte hingegen stellen Revolutionen dar, nach deren Ende ein neues Narrativ entsteht welches sich meistens radikal von jenem unterscheidet, das vor dem Bärenmarkt herrschte. Weil ein neues Narrativ aus mehreren Themen besteht, die zu einem einheitlichen Perzept zusammenwachsen müssen, bevor neue Trends entstehen, bedarf es eines Brennpunktes bevor neue Hausse-Märkte entstehen. Das neue Narrativ beginnt damit, dass "GGZler" sich konträr zur kommunikativ intensiv vorgetragenen öffentlichen Meinung positionieren. Als "GGZler" bezeichne ich Leute mit Geist, neue Entwicklungen und Zusammenhänge zu erkennen, Geld, Trends anzustossen und Zeit, auf den Erfolg zu warten. Ihre Erwartungen können sich allerdings nur durchsetzen, wenn mit der Zeit immer weitere Populationen mit übereinstimmenden Erwartungen dazustossen, obwohl sie mit völlig unterschiedlichen Methoden zu ihren Erwartungen gelangen. Ganz anders verläuft das Ende technischer Korrekturen. Da geht es nur darum, das alte Narrativ durch exogene Impulse wieder aufblühen zu lassen. Dazu genügt zum Beispiel eine positive Gewinnüberraschung eines grossen Unternehmens dessen Geschäftsmodell mit dem Narrativ abgedeckt ist. Technische Korrekturen beginnen ohne dass zuvor die endogenen Voraussetzungen entstanden wären, um aufgrund exogener Impulse eine Baisse zu entwickeln. Beginn und Ende technischer Korrekturen können kaum vorhergesagt werden. Erfolgten sie nicht aus einem Brennpunkt heraus, sollte nicht versucht werden, ihnen auszuweichen, obwohl die Rückschläge heftig sein können. Da die Kurse sozusagen "auf einem Stiletto" wieder nach oben drehen, sind Versuche, Rückschlägen ohne vorangegangenem Brennpunkt auszuweichen, für den langfristigen Anlageerfolg grundsätzlich schädlich.
Voraussetzungen für einen Bärenmarkt fehlen noch
Die Forschung von Hayek, Zimbardo, Smith und Sornette bilden zusammen mit jener vieler anderer, die ich bislang nicht erwähnt habe, eine konsistente Argumentationskette für die Hypothese, dass kurz und bildlich gesprochen Wirtschaft und Börse nicht zwei Seiten der gleichen Münze sind, sondern zwei Münzen, die zwar aneinander reiben, aber nicht ineinander aufgehen.
Derzeit gib es etliche Reibungsflächen zwischen den beiden Münzen. Das ist mit Blick auf die weit auseinanderliegenden Schätzungen der Analysten zu Eckwerten wie Konjunktur und Gewinnentwicklung der Unternehmen und der nicht besonders sonnigen geopolitischen Lage nicht weiter überraschend. Entscheidend aber ist, dass das Innenleben der "Börsen-Münze" die Voraussetzungen für einen Bärenmarkt wie etwa im Jahre 2008 noch nicht hergibt. Für eine Fortsetzung der Kurserholungen seit Januar auf Ebene der kapitalgewichteten, nach Ländern organisierten Indizes allerdings auch nicht. Ich gehe davon aus, dass diese sich im Wesentlichen für einige Zeit in relativ engen Bandbreiten von etwa 15% von oben nach unten gerechnet essentiell seitwärts bewegen werden. Die in verschiedenen Experimenten in der Behavioral Finance Forschung zu Tage getretene Neigung nicht nur sogenannter naiver Anleger, sondern selbst Professioneller, Gewinneraktien zu verkaufen und an Verliereraktien festzuhalten, führt in solchen Situationen in aller Regel dazu, dass die relativ stark gewesenen Aktien mehr leiden als die relativ schwach gewesenen. Das wiederum wird, wenn ich die Situation nicht völlig falsch einschätze, ein temporäres Phänomen sein. Folglich liegen meine Erwartungen darin, dass relativ starke Aktien in relativ starken Industrien die relativ starken Sektoren zugeordnet sind nach allfällig grösseren Verlusten wieder zu den Gewinnern gehören werden. In der Zwischenzeit dürften eher defensive Sektoren wie Consumer Staples und Healthcare zu den relativen Gewinnern gehören.
Alfons Cortés
Senior Partner
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