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Hier anmeldenZwischen März 2000 und Oktober 2002 hat der S&P 500 50.5% verloren. Zwischen Oktober 2007 und März 2009 kam im zweiten Bärenmarkt in diesem Jahrhundert ein Verlust von 57.6% zustande. In einer letztes Jahr von J.P. Morgan publizierten Studien ist zu entnehmen, dass aus einer Anlage von USD 10'000.- in den S&P 500 von anfangs 2000 bis Ende 2019 USD 32'421.- geworden wären. Diese Periode umfasste 5000 Handelstage. Wer davon die zehn besten verpasst hätte, hätte nur rund die Hälfte des Gewinns erwirtschaftet, nämlich USD 16'180.- Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Kommt ein Markt aus einer Bodenbildung oder aus einer Bifurkationsphase, wie jener zwischen Februar 2015 und Februar 2016 oder zwischen Oktober und Dezember 2018, verpasst man, wenn man nicht investiert ist, Gewinne, die man nicht aufholen kann. Das ist ein starker Grund, weshalb man auch in Bifurkationsphasen selektiv nach Anlagen suchen sollte. Dass Bifurkationsphasen ihre spezifischen Schwierigkeitsprofile aufweisen, versuche ich nachfolgend zu beschreiben.
Die Meldeflut aus der Unternehmenswelt, der Volkswirtschaft und der Politik bedeutet nicht, dass wir dadurch in die Lage versetzt werden, eine materielle Kontrolle über unsere Aktienanlagen auszuüben.
Volatilitäten und Performance innerhalb eines Zeitabschnittes sind nicht ansteuerbar. Wären sie das, müsste man sich allen Ernstes Gedanken darüber machen, ob tatsächlich die Marktwirtschaft, die wesentliche Informationen über Preissignale erhält, der Kommandowirtschaft überlegen ist. In beiden Fällen sind konkrete Ziele nicht ansteuerbar. Möglich hingegen ist an der Börse eine prozedurale Kontrolle: Die Anpassung an die grössten Geldströme. Dies, weil wir stets nur über Teilwissen verfügen, sozusagen über viele, aber nicht alle Mosaiksteine, die für ein vollständiges Bild erforderlich wären.
Die Lücken füllen wir damit auf, dass wir uns mit anderen austauschen, aber uns auch über die Kursentwicklung informieren.
Im Prinzip heterogene Erwartungen werden bis zu einem gewissen Grad über teils verbale, teils über Preissignale erfolgende Interaktion mit anderen homogenisiert.
So kommt es, dass der Aktienmarkt keine Aggregation von autonomen Individuen und kein Kollektiv von übereinstimmend handelnden Akteuren ist, sondern ein sozialer Prozess, der die Interdependenz von authentischen Individuen mit ihrem gemeinsamen System spiegelt.
Wer keine angemessene Balance zwischen Authentizität und Anpassungsnotwendigkeit findet, geht ganz einfach unter. Das gilt in ganz besonderem Masse in der aktuellen Situation, in welcher Krieg und Sanktionen zuvor schon entstandene Fehlentwicklungen in Wirtschafts- und Finanzsystemen verschärft haben, und die dringend hätten adressiert werden müssen.
In Bifurkationsphasen können Preissignale verwirren
Nachdem bereits vor Kriegsausbruch die Aktienmärkte eine divergente Marktphase eingeläutet hatten (ich hatte im Newsletter November 2021 darüber berichtet), hat das Ausmass der Homogenisierung der Meinungen durch das Preissystem nachgelassen. Ein gutes Beispiel liefert der Nasdaq 100: Am 26. April verlor er 3.87%, am 27. April gab er nochmals um 0.05% nach, am 28. April gewann er 3.48%, am 29. April verlor er 4.47%, am 2. Mai legte er 1.72% zu, am 3. Mai stieg er um 0.11%, am 4. Mai stieg er um 3.41%. Der Schluss lag am 4. Mai auf 13'535.71 Punkten. Am 25. April hatte er auf 13'533.22 Punkten geschlossen. In sieben hektischen Handelstagen hat er 0.0183992% zugelegt!
In Bifurkationsphasen wie jetzt ist es dringender denn je notwendig, Ordnung in unsere eigenen Köpfe zu bringen. Wir müssen wissen, wie wir das komplexe, nicht lineare Verhältnis zwischen Aktienmärkten und anderen korrespondierenden System gegenseitig abgleichen, welche Volatilität wir in Kauf nehmen müssen, ohne unsere Erwartungen zu verändern. Wir müssen prüfen, ob wir die Volatilität ertragen und verkraften können, und wir dürfen unsere Entscheide nicht von Tagesnachrichten beeinflussen lassen. Wir müssen uns ähnlich positionieren wie Ärzte in belastenden Fachdisziplinen, wie Onkologie oder Psychiatrie, die durchaus Empathie für ihre Patienten aufbringen, deren Krankheiten aber nicht an sich heranlassen.
Ordnung in unsere Köpfe bringen
Das alles setzt voraus, dass wir klare Regeln in Kraft haben und uns verpflichtet fühlen, diese auch strikte anzuwenden.
Von Vorteil ist, wenn diese Regeln aus einem vertieften Verständnis geschöpft wurden, wie komplexe soziale Systeme grundsätzlich funktionieren. Sie sind – darüber sind alle Autoren zum Thema komplexer sozialer Systeme einig – pfadabhängig. Darüber habe ich bereits vor einem Monat berichtet und mich in grösserer Ausführlichkeit im Newsletter November 2018 geäussert, der via Mausklick am Ende dieser Ausgabe abgerufen werden kann.
Eine Bifurkationsphase ist schwierig zu navigieren, aber kein Bärenmarkt
Meiner Meinung nach wird man aufpassen müssen, eine Bifurkationsphase nicht gleich zu behandeln wie ein negativer Lock-In, der ein Bärenmarkt wäre, welcher alle Sektoren und mindestens 80% der kotierten Aktien erfassen würde. Ein solcher Bärenmarkt war von Januar 1973 bis Oktober 1974 und von Oktober 2007 bis März 2009 der Fall, während in jenen Bärenmärkten von November 1968 bis Mai 1970 und von März 2000 bis März 2003 nicht alle Sektoren und nicht fast alle Aktien erfasst wurden.
Bislang gibt es starke Divergenzen zwischen den Sektoren und sehr starke Divergenzen zwischen den Industrien, und zwar sowohl hinsichtlich der eingeschlagenen Richtung als auch anderer technischer Merkmale, wie Volatilität, Marktbreite und Umsätze.
Anlagenotstand aus anderen Gründen
Meine Vermutung ist die, dass es weiterhin einen Anlagenotstand gibt, aber einen ganz anders gelagerten als während Jahren, als er definiert wurde durch negative Realzinsen, während es eine Inflation von Anlagepreisen gab, in Neudeutsch bekannt als «Asset Price Inflation». Jetzt haben wir eine gewisse Asset Price Disinflation, nach wie vor keine attraktiven Zinsen und eine hohe und wahrscheinlich noch lange nicht abnehmende Konsumentenpreisinflation. Man wird nach Wegen suchen, die Erosion der Kaufkraft privater und institutioneller Vermögen zu bekämpfen und Rendite zu suchen in Aktiensegmenten, die traditionellerweise eine niedrigere Volatilität als andere aufweisen und vermehrt auf Bewertungen und Dividendenrendite achten. Eine sophistizierte, nicht auf einzelnen Charts basierende, vernetzende technische Analyse mit Schwerpunkt auf relative Stärke wird unentbehrliche Dienste bei der Navigation durch das komplexe System leisten.
Alfons Cortés
Senior Partner
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LI-9490 Vaduz
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