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Hier anmeldenIn meiner ersten Kolumne habe ich das Thema Hayek, Evolutionary Finance und künstliche Intelligenz angesprochen. In der zweiten Kolumne ging es um Contrarian-Strategien. Heute möchte ich den Einsatz der relativen Stärke als Allokationsinstrument an einem praktischen Beispiel zeigen und die prominente Rolle dieses Instruments in der Marktanalyse kurz beleuchten.
Dass an den Börsen seit Jahren Innovation honoriert wird, ist allgemein bekannt. Man sieht es an der relativen Stärke des MSCI Information Technology zum MSCI Welt, des Nasdaq 100 zu allen Indizes, des DJ US Growth Indexes mit einem Plus von 381% in zehn Jahren im Vergleich zum DJ US Value Index der in der gleichen Periode lediglich 235% zulegte. Man sieht es an den Kursreaktionen von Aktien deren Unternehmen Investitionen in innovative Vertriebssysteme ankündigen, wie zum Beispiel Disney. Der Disneykurs schwankte während vier Jahren, in denen der S&P 500 um 45% stieg, zwischen 90 und 100 Dollar. Diesen Monat legte er 25% zu nachdem das Unternehmen angekündigte hatte, eine eigene Streaming-Plattform aufzubauen.
Niemand wird sein ganzes Vermögen in IT-Aktien und in den Wolken der "Streamer" anlegen. Kein Europäer wird das gesamte Portfolio in US-Titel investieren wollen. Dem Gebot der regionalen und sektoriellen Diversifikation folgend sucht man vernünftigerweise nach Anlagemöglichkeiten ausserhalb des IT-Sektors, die entweder Contrarian- oder Trend-Kriterien erfüllen.
Contrarian-Chancen an die "niemand" glaubt
In die Kategorie der Contrarian-Chancen fallen der Euro Stoxx Automobiles & Parts, und hier insbesondere die deutschen Automobil-Aktien und die Titel der europäischen Zulieferer sowie der Euro Stoxx Banken-Index, der nach einer langen "Leidensperiode" neuerdings relative Stärke zum DJ Stoxx 600 Banks und sogar zum DJ US Banks aufbaut. Man mag die fundamentalen Gründe dafür nicht verstehen. Das war aber fast in allen Contrarian-Situationen, an die ich mich erinnere, der Fall.
Nachvollziehbarer konsistenter Trend
In die Kategorie konsistenter Trends, die sich relativ stark zu in Frage kommenden Messlatten wie MSCI Welt oder MSCI Europa entwickeln, fällt eine liquide und hochkapitalisierte Industrie auf, nämlich jene der Versicherungsaktien. Sowohl DJ Euro Stoxx Insurance als auch DJ Stoxx Europe 600 Insurance gehören zu den wenigen europäischen Industrie-Indizes, die nicht nur mit dem MSCI Welt, sondern auch mit dem S&P 500 Schritt halten können und überdies relative Stärke zu allen MSCI Sektoren mit Ausnahme von Information Technology aufweisen.
Warum relative Stärke?
Die relative Stärke ist der Grund, warum die relativ schwach gewesenen Auto- und Bankaktien als Contrarian-Positionen in Betracht kommen nachdem die Voraussetzungen für antizyklisches Handeln in diesen Titel geschaffen wurde, und warum ich europäische Versicherungsaktien übergewichte. Das dahinterliegende Konzept ist auf Friedrich von Hayek zurückzuführen, insbesondere auf Kapitel IV "The Use of Knowledge in Society" in seinem Buch "Individualism and Economic Order", in welchem Hayek darlegt, dass die Veränderungsrate der relativen Preise erlaubt, in einem komplexen System, in welchem alle Teilnehmer Wissenslücken aufweisen, das Richtige zu tun ohne wissen zu können warum es das Richtige ist. Im Bemühen, die Arbeiten Hayeks für Anlageentscheide an der Börse zu nutzen, habe ich erstmals 1971 ein proprietäres Modell entwickelt und es seither kontinuierlich ausgebaut, das die Preis- und Mengendaten einer Vielzahl von Objekten vernetzt. Verglichen werden Veränderungen von Preisen und Mengen, die Geschwindigkeit dieser Veränderungen, gewesene und sich verändernde Korrelationen zwischen verschiedenen Preisen. Ferner wird untersucht, welche Nachrichten Bahnungsseffekt haben und welche nicht. Erfasst wird weiter, wie sich Länderindizes untereinander verhalten, Sektoren- und Industrieindizes untereinander und zu Länderindizes, Zinsen und Währungen zu Börsensegmenten um auf diesem Wege zur Allokation von ETFs oder einzelnen Aktien zu gelangen.
Markttechnik im Vordergrund, fundamentale Analyse in der Hinterhand
Evolutionary Finance wertet die hinter einem Ansatz zugrundeliegenden Theorien und Modelle nicht. Das tue ich auch nicht. Es gibt viele Ansätze und Modelle, die, wenn konsistent zum Einsatz gelangend, Erfolg bringen. Allerdings sind nicht alle Ansätze zu allen Zeiten gleichermassen erfolgreich. Das ist der Grund, warum Evolutionary Finance die Interaktion von Anlageregeln am Markt analysiert. Schlussendlich ist die übergeordnete Instanz für diese Analysen stets die Veränderungsrate relativer Preise. Meine Analyse ist grundsätzlich markttechnischer Natur, weil sie auf Grundlage marktgenerierter Daten erfolgt. Eine markttechnische Analyse, die aber den Begriff "Analyse" verdient, ist nicht mechanisch. Sie konzentriert sich nicht auf einzelne Punkte, deren Über- oder Unterbietung neue Erkenntnisse eröffnet. Nebst soliden Daten, wie zum Beispiel Preise und ihre Veränderungsrate, greift sie auch "weiche" Daten aus dem Rohstoff der Börsen ab, und dieser Rohstoff ist nichts anderes als Kommunikation, die unter einer riesigen Menge von Teilnehmenden aus der Anonymität heraus erfolgt. Sie deckt auf, welche Nachrichten zu Informationen verarbeitet werden und welche unter den Tisch fallen. Sie zeigt, mit welchen Handlungen daraus zu rechnen ist und welche Fundamentaldaten ignoriert werden. Diese stellen den Sprengstoff für kommende Bewegungen gegen die bisherigen Trends dar, doch sollen sie nicht umgesetzt werden bis der Markt dazu bereit ist, das bisherige Regime zu verwerfen und durch ein neues zu ersetzen. Dazu verweise ich auf meine Kolumne der vorletzten Woche, die sich mit dem Erkennen von Contrarian-Situationen befasste und mit grossem Nachdruck auf die Untersuchungen von Professor Didier Sornette von der ETH Zürich die zeigen, dass die Voraussetzung dafür, dass Märkte auf neue fundamentale Informationen nachhaltig reagieren, durch marktinterne Prozesse geschaffen werden müssen. Es sind Prozesse, die ich als Brennpunkte bezeichne. Dieser Begriff wird in künftigen Kolumnen immer wieder vorkommen.
Was bedeuten Fundamentaldaten?
Sie sind die Karten in der Hinterhand, die ich nicht ausspiele solang keine Brennpunkte in den Märkten entstehen. Wir kennen alle die vielen Warnungen, die in Zusammenhang mit den steigenden Kursen seit Jahresbeginn in Umlauf gesetzt wurden. Diese werde ich dann einer kritischen Würdigung unterziehen, wenn sich Brennpunkte entweder in grossen Sektoren oder Ländern, vor allem in den USA, an den Börsen selbst einstellen. Im Laufe meiner bald 50-jährigen Börsenerfahrung habe ich gelernt, dass problematische fundamentale Konstellationen sich entschärfen können ohne dass sich Brennpunkte einstellen. Der Sorgenkatalog wird dann neu geschrieben. Die Kurse steigen munter weiter und wer im Vorgriff auf das Eintreten potenzieller kritischer Situationen gehandelt hat, hat das Nachsehen.
Weltanschauung ist Fundament der Markttechnik
Einer guten markttechnischen Analyse liegt eine Weltanschauung zugrunde, die Märkte als Entdeckungsprozesse versteht, in welchen eine unbekannte Anzahl Menschen mit unbekannten finanziellen Ressourcen und unbekannter Nervenstärke ihr semantisches Wissen ebenso einbringt wie das episodische Wissen. Selbst wenn wir über sämtliche sachliche Informationen verfügen und vollständige Kenntnis über die Mittel hätten, die die Akteure an den Märkten einzusetzen willens und in der Lage sind, würde uns immer noch der Zugang zum episodischen Wissen der Partizipanten fehlen und somit zur hierarchischen Ordnung, nach welcher die Menschen Meldungen zu Informationen transformieren und diese dann auswerten. Dieses Manko zu überbrücken ist der Zweck einer vernetzenden markttechnischen Analyse die das Ziel verfolgt, unter Nutzung fundamental ökonomischer Erkenntnisse zur richtigen Zeit langfristig besser abzuschneiden als die Referenzindizes der gewählten Börsen.
Alfons Cortés
Senior Partner
Unifinanz Trust reg.
Austrasse 79
LI-9490 Vaduz
Telefon +423 237 47 60
Fax +423 237 47 67
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