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Hier anmeldenDie Börsen seien zu 90% der Zeit effizient und auf die restlichen 10% komme es an, soll Warren Buffet gesagt haben. Die 10% stellen Übertreibungen dar die sogenannte Contrarian-Opportunitäten eröffnen. Nicht nur nach Rom führen viele Wege, sondern auch zur Identifikation und optimaler Nutzung solcher Situationen. Wer meine erste Kolumne in The Market gelesen hat, weiss, dass ich die Börse als ein komplexes, adaptives soziales System betrachte. Ich verstehe sie nicht als eine Aggregation von autonomen Individuen und auch nicht als ein Kollektiv von übereinstimmend handelnden Akteuren, sondern als sozialen Prozess, der die Interdependenz von authentischen Individuen mit ihrer gemeinsamen Institution Börse widerspiegelt. Das Navigieren in diesem System ruft nach einer angemessenen Balance zwischen Authentizität und Anpassungsnotwendigkeit. Somit suche ich die Contrarian-Chancen nicht auf Ebene der einzelnen Aktien, sondern auf Systemebene. Das bedeutet, dass für mich solche Situationen entstehen, wenn die Aktienmärkte global, regional oder sektoriell einen Zustand erreichen, der Contrarian-Opportunitäten eröffnet.
Bewertung
Wenn Contrarian-Chancen nach einem Hausse-Markt entstehen, ist die Bewertung immer ausserordentlich hoch. Trotzdem ist sie alleinstehend kein Anlass, Contrarian-Positionen einzugehen. Der Grund liegt darin, dass jedes Mal, wenn ein Trend in einer spekulativen Blase mündete die Bewertung unterschiedlich hoch war, und zwar gleichgültig, welche ökonomischen Vergleichsdaten hinzugezogen wurden.
Bevor Märkte nach einer Baisse zu steigen begannen, waren sie oft hoch bewertet. Die Gründe sind meistens auf zwei Ebenen zu suchen: Wie zahlreiche Studien aus der Behavioral Finance Forschung belegen, werden Analystenmeinungen durch grössere vorangegangene Kursbewegungen beeinflusst. Bärenmärkte ersticken Optimismus und beleben Pessimismus. Dadurch werden Chancen oft nicht erkannt. Der zweite Grund liegt darin, dass gelegentlich monetäre Massnahmen die Konjunktur schneller belebten als erwartet wurde. Dadurch setzen Gewinnsteigerungen früher und stärker ein als prognostiziert.
Kredit
Nach langen Aufwärtstrends sind fast ausnahmslos die ausstehenden Verbindlichkeiten, die mit Wertpapieren abgesichert sind, hoch. Auch hier gibt es keine Normwerte, die klar quantifizieren wann hoch zu hoch ist. Kreditaufnahmen stellen jedoch eine Komponente im gesamten Datenkranz dar, der Contrarian-Chancen identifizieren lässt.
Leerverkäufe nach starken Abwärtstrends sind wie Kredite zu beurteilen. Beiden ist eigen, dass die Zeit gegen die Schuldner von Geld bzw. Aktien arbeitet und dass gegenläufige Kursbewegungen diese Zeitachse verkürzt. Das beschleunigt Abgaben bzw. das Decken von Leerverkäufen und trägt damit zum Erfolg von Contrarian-Positionen bei.
Historie
Aufwärtstrends dauern meistens viel länger als erwartet. Damit auf Marktebene Contrarian-Situationen nach einer Hausse entstehen, müssen langjährige Aufwärtstrends vorangegangenen sein. Es bedarf jedoch nicht bloss einer Kurshistorie, sondern auch einer Themen-Historie. Das heisst, dass es ein mehrjähriges Narrativ gegeben haben muss, welches das gesamte Spektrum der Variablen, die auf die Kursgestaltung Einfluss nehmen sollten, auf wenige Themen verengt hat. Dabei handelt es sich um Themen, die neues verheissen, sei dies in Form technologischer Innovation, aber auch institutioneller ("Reagan-Revolution", "Thatcher-Revolution") oder Paradigmenwechsel in der Wissenschaft (kurzgefasst: Monetarismus statt Fiskalismus).
Einer Baisse, die Contrarian-Chancen eröffnet, geht eine kurze Geschichte von maximal zwei bis drei Jahren voraus, verbunden mit einer Revolution, die das Narrativ verwirft, welches die vorangegangene Hausse angetrieben hat. Diese Rückweisung des alten Narrativs ist ein wichtiger Bestandteil zur Identifikation von Contrarian-Chancen nach einer Baisse.
Fantasie
Börsen sind extrem kommunikationsintensiv. Ein wesentlicher Teil der Analyseaufgrabe besteht darin, zu prüfen, wie Kurse auf Nachrichten reagieren. Bevor Contrarian-Situationen entstehen, findet eine starke Konzentration auf einzelne Themen statt, die die Fantasie anspornt, welche "blühenden Landschaften" aus Innovation entstehen mögen. Rückenwind erhält die Fantasie durch Neuemissionen von Unternehmen, deren Geschäftsmodell kaum Chancen hat. Ihnen wird trotzdem Geld nachgeschossen, weil die Fantasie ein realistisches Zukunftsbild überdeckt.
Börsenphasen, in denen die Umstände prinzipiell günstig sind für die Anlagekategorie Aktien werden gekennzeichnet von einer grossen Marktbreite. Die Konsequenzen sind die, dass die meisten Aktien sich im gleichen Trend bewegen, jedoch mit unterschiedlichem Momentum, sodass die Kapitalisierung der einzelnen Sektoren im MSCI und der einzelnen Länder sich nicht stark verändert. Das sind Buffett's 90%-Phasen. Bevor Contrarian-Situationen entstehen, laufen während längerer Zeit einzelne Länder oder Sektoren anderen davon. Die Kapitalisierung dieser Bereiche legt zu Lasten aller anderen zu. Die Kapitalisierung der Sektoren oder Regionen, die Contrarian-Chancen schaffen, verändern sich sehr deutlich.
Medienpräsenz
Die Einbindung der Medien in die Analyse ist ein Kernelement. Nicht jedes starke Momentum ist auf dem Weg zu einer Contrarian-Chance eröffnenden Situation.
Der Weg zu einer Contrarian-Situation ist mit einer Monopolisierung der öffentlichen Meinung gepflastert. Sie ist daran festzumachen, dass die Kommunikation von denjenigen Meinungen dominiert wird, die für eine Extrapolation des bekannten Trends und des Themas in die Zukunft plädieren. Andere Meinungen werden zunehmend an den Rand gedrängt und mit der Zeit gar nicht mehr publiziert.
Die Präsenz nimmt in jenen Medien zu, die nur sporadisch oder nebenher über die Finanzmärkte berichten. Die Zunahme wird erkennbar an der prominenten Platzierung von Börsenthemen, am erweiterten Umfang der Berichterstattung über Finanzthemen, an der Atmosphäre der Verblüffung und an der Dominanz der Meinungen, die den bisherigen Trendverlauf in die Zukunft hinein extrapolieren.
Der Zeitpunkt, Contrarian-Positionen zu beziehen, kommt nach Eintritt aller obgenannten Erscheinungen dann, wenn jene Meldungen, die bis anhin kurstreibend waren, ihre Wirkung verlieren, ein plötzlicher Bruch der kommunikativen Eintönigkeit und der Trendentwicklung eintritt, und nach wenigen Tagen ein Abflauen des Meinungsmonopols und ein erstes Aufflackern konträrer Auffassungen beobachtet werden können. Gleichzeitig verlieren Medien, die sich nicht auf Finanzmärkte spezialisiert haben, das Interesse am Geschehen und ziehen sich auf die Berichterstattung im üblichen Umfang und mit der üblichen Farblosigkeit zurück.
Zum Schluss
Wie Sie aus den vorangegangenen Ausführungen entnommen haben, kamen viele Begriffe vor, die sich exakter Quantifizierung entziehen. "Hohe Bewertungen", "hohe Verschuldung", "lange Trends", – da könnte der Vorwurf entstehen, mit vielen Worten nichts gesagt zu haben. Ich denke nicht, dass dem so ist. Denn das entscheidende ist folgendes: Es müssen alle obgenannten Faktoren zusammentreffen, obwohl die Aufbauphase für jeden einzelnen in jeder Situation eine andere Frist beansprucht. Einzelne Erscheinungen aus diesem Essay sind an den heutigen Märkten durchaus zu beobachten – aber nicht alle. Und somit gibt es derzeit aus meiner Warte keine Contrarian-Situation für Bären und auch keine für Bullen. Man geht derzeit am besten mit dem Trend in den relativ starken Sektoren mit, weil es keine Hinweise gibt – ich wiederhole mich – um sich konträr zum Trend zu positionieren.
Alfons Cortés
Senior Partner
Unifinanz Trust reg.
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LI-9490 Vaduz
Telefon +423 237 47 60
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