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Hier anmeldenIn allen Bereichen, in denen die Handlungen der anderen bestimmend für den Erfolg der eigenen Dispositionen sind, muss wenigstens approximativ die Frage beantwortend werden, wie diese Handlungen aller anderen das komplexe soziale System prägen werden, an dem man partizipiert. Im Falle der Börsen genügt es nicht, das Umfeld, das aus wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen besteht und sich kontinuierlich weiterentwickelt, zu analysieren. Es bedarf auch einer Analyse des Börsensystems selbst. Dazu dienen marktgenerierte Daten, die in unbefriedigender Weise unter dem Begriff der "technischen Analyse" subsummiert werden, welche ein grosses Zelt darstellt, unter dessen Dach alle möglichen Prozedere Platz finden.
Nachstehend gewähre ich einen Einblick in die Methodik, die ich für meine Bedürfnisse über Jahrzehnte entwickelt habe.
Relative Stärke
Behavioral Finance erklärt Abweichungen von objektiven ökonomischen Bewertungsmodellen mit systematischen Fehlurteilen der Marktteilnehmer, die zum Teil auf emotionale Einblendungen und zum Teil auf schlichte Unkenntnis, wie beispielsweise von simplen Wahrscheinlichkeitsberechnungen und von anderen Instrumenten der rationalen Beurteilung komplexer Vorgänge, zurückzuführen seien.
Die Österreichische Schule der Nationalökonomie beschreitet hier einen anderen Weg. Für sie gibt es keine statisch gültige Rationalität, sondern diverse mögliche Wissenskonstrukte die zu nicht statischen Präferenzen führen. Allerdings geht sie davon aus, dass alle handelnden Subjekte nur über beschränktes Wissen verfügen, unter anderem auch weil Wissen aus orts- und zeitabhängigen Erfahrungen entstehen kann. Wissensdefizite und emotionale Mitbeteilung an Entscheidungsprozessen münden nicht, wie in der Behavioral Finance-Schule, in einem bunten Strauss von Erklärungen der Eigenschaften der Marktteilnehmer, sondern in der subjektiven Wertlehre, die Wert durch Wertschätzung substituiert. Wertschätzung wird als „Beziehung zwischen einem wertenden Bewusstsein und dem bewerteten Gegenstand“ definiert, dargestellt als „Manifestation geistiger Aktivität“ von Ludwig Lachmann in „Marktprozess und Erwartungen“.
Somit ist die subjektive Wertlehre das Schlusskapitel aller psychologischen Erwägungen, die in der ökonomischen Hypothesenbildung von Belang sind. Während für Behavioral Finance das Menschenbild eine ewige Baustelle bleibt, auf der das ständige Werkeln am Psychogramm der Börsianer die Rechtfertigung der Disziplin darstellt, ist das Thema für die Österreichische Schule mit der Etablierung des homo discens, d.h. des pfadabhängig lernenden Menschen, erledigt.
Ausgangspunkt für alle weiteren Hypothesen ist diese Figur. Die Akkuratesse der Lehre wird uns in allen möglichen Lebenslagen vorgeführt. Als Beispiel sei an dieser Stelle die wirtschaftliche Bedeutung von Marken für die Durchsetzungsfähigkeit von Preisen am Markt als Stellvertreter für viele andere genannt.
Wertschätzung wird über relative Preise und deren Veränderung signalisiert. Wer das verstanden hat, braucht sich nicht über Intelligenz, Selbstkontrolle und Kenntnisse anderer auszulassen. Wertschätzung ist als geistiger Akt zwischen Bewerter und Objekt einer externen Analyse unzugänglich. Das Ergebnis des Vorganges ist aber analysierbar – über die relative Stärke von Preisen und deren Veränderung.
Relative Stärke misst die relative Entwicklung eines Finanzmarktobjektes im Vergleich zu einem Kollektiv von Finanzmarktobjekten während einer bestimmten Zeitperiode, z.B.: die Entwicklung einer Aktie wird an der Entwicklung eines Indexes über eine Periode von sechs Monaten gemessen. Zahlreiche akademische Untersuchungen bis in die Neuzeit hinein belegen, dass Einzelaktien und Sektoren, die während einer bestimmten Periode einen Indexverlauf überboten haben, eine starke Neigung zur Fortsetzung eben solchen Verhaltens besitzen.
Bereits vor vielen Jahren bin ich davon abgekommen, relative Stärke statisch zu sehen. Ich verfolge nicht die relative Stärke per se, sondern das Momentum der relativen Stärke. Nimmt die Veränderungsrate der relativen Stärke ab, ist davon auszugehen, dass die Phase hoher relativer Stärke einer Aktie gegenüber einem Index ihrem Ende zuneigt.
Relative Stärke und ihr Momentum zeigen wie sich Präferenzen der Marktteilnehmer auf Industrien, Sektoren, Länder aggregieren und in welchen Bereichen sie sich durch allgemeine Akzeptanz eines Wissenskonstruktes zu einer spontanen Ordnung im Sinne von Friedrich A. von Hayek verfestigen
Sentiment
Sentiment ist ein sehr wichtiges Gut an den Börsen. Oft wird es auf sehr „weicher“ Grundlage ermittelt. Nach meiner Auffassung ist Sentiment quantifizierbar. Dies erfolgt durch die Berechnung der Abweichungen der Markträumungspreise von Durchschnittspreisen für Perioden, die sich empirisch als relevant nachweisen lassen. Hat ein Finanzmarktobjekt eine bestimmte Standardabweichung überschritten, und nimmt dann das Momentum ab (wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um steigendes oder fallendes Momentum handelt), wird dadurch signalisiert, dass eine Phase positiver Rückkoppelungen zu Ende geht und negative Rückkoppelungen zu einer „Reversion to the Mean“ führen. Ausgezeichnete Dienste in diesem Kontext liefern Bollinger-Bänder (empfehlenswert dazu das Buch von John Bollinger: "Bollinger on Bollinger Bands").
Auf Bollinger-Bänder basierende Sentimentmodelle sind absolut kompatibel mit der Markttheorie von Friedrich von Hayek, während die neoklassische ökonomische Theorie nur Platz für negative Rückkoppelungen hat, da das Paradigma, dass Märkte sich stets in einem Gleichgewicht befinden, positive Rückkoppelungen ausschliesst. Das führt dazu, dass mit dem Einstieg in neue Segmente zu lange gewartet wird, in denen in aller Regel dann positive Rückkoppelungen tonangebend sind, wenn die entsprechenden Segmente durch ihre Neuartigkeit nur von wenigen Spezialisten verstanden werden. Somit werden die zumeist gewinnstärksten Themen und Bereiche des Marktes mit Verspätung erkannt. Umgekehrt erfolgt die Anpassung an dem schon abgelaufenen Marktprozess wiederum mit Verspätung wenn fundamental nicht haltbare Bewertungen damit entschuldigt werden, dass "diesmal alles anders sei" (so gewesen in den Exzessen an der japanischen Börse Ende der 1980er Jahre, in der „New Economy“-Blase etc.), und damit künstlich ein neues Gleichgewicht konstruiert wird. Mit solchen Ausreden wird Liquidität in die Märkte gejagt, die die spekulativen Blasen erst recht aufheizen.
Momentum
Momentum misst den Grad der Veränderung während einer vorgegebenen Zeitspanne. Es kann sich um die Veränderung von Gewinnen, Markträumungs- oder relativen Preisen handeln.
Momentum ist ein wichtiger Hinweisgeber über die Diffusion von Wissen, das aus der Verarbeitung von Information zur Entstehung von Perzepten führt. Wissen verbreitet sich in einem kommunikationsintensiven System wie der Börse wie eine Epidemie. Was aus einer anfänglichen Erkenntnis Weniger entstand, wird über den sichtbaren Erfolg infektiös und steckt damit eine steigende Anzahl von Marktteilnehmern an. Einst solides Wissen degeneriert mit der Zeit zu Pseudowissen, da zu den ehemaligen tiefen Kursen gültige Zukunftshypothesen konstruiert wurden, die ihre Gültigkeit verlieren, je mehr sich die Kurse von der Wirtschaftsentwicklung entfernen. In den frühen Phasen eines Momentumzyklus ist die Nachfrageseite von Marktteilnehmern mit grosser Vorstellungskraft hinsichtlich der möglichen Entwicklung aus einer gegebenen Konstellation bevölkert, d.h. von Innovatoren. Im späteren Stadium eines Momentumzyklus dominieren die Nachahmer. Nachahmer neigen dazu, mit weniger Kenntnissen weniger Kapital zu bewegen, dafür stärker zu imitieren. Daher geht Momentum dem Preis voran: während die Preise flach verlaufen oder immer noch leicht fallen, steigen smart konstruierte Momentumindikatoren bereits und bilden dadurch die sogenannten positiven Divergenzen aus. Steigen die Preise nach einer Hausse immer noch, nimmt ihre Veränderungsrate jedoch ab, fallen die Momentumindikatoren bereits und zeigen mit den daraus entstehenden negativen Divergenzen die Richtung der nächsten Preisbewegung an. Folglich dienen Momentummodelle als vorauseilende Indikatoren und stellen, wenn mit Sentiment-Indikatoren vernetzt, sehr zuverlässige Instrumente dar zur Früherkennung grösserer Trendwenden.
Volumen
Das Handelsvolumen spielt dann eine wichtige Rolle, wenn Brennpunkte an den Märkten in Entstehung begriffen sind. Das Eis auf diesem Gebiet gebrochen hat eine Studie von Simon Gervais, Ron Kaniel und Dan H. Mingelgrin, die in The Journal of Finance Vol. LVI, Nr. 3, Juni 2001, unter dem Titel The High-Volume Return Premium erschienen ist. Die Autoren befassen sich darin mit der Periode von August 1963 bis Dezember 1996. Sie kamen zum Schluss, dass Perioden extremer Handelsvolumina wichtige Informationen über künftige Aktienkursbewegungen beinhalten.
Wie kann die Bedeutung von Volumen als vorauseilender Indikator für Aktienkurse verstanden werden? Volumen legt das Ausmass der Partizipation im Markt offen. Je grösser die Partizipation, umso kräftiger der Ansteckungseffekt. Im Kapitel „Herd Behavior and Epidemics“ im Buch Irrational Exuberance schreibt Robert J. Shiller, dass Experimente gezeigt hätten, die Menschen seien eher bereit, der Ansicht der Mehrheit zu folgen als den Tatsachen zu glauben, die sie selbst ermittelten. Auch Volumen, das deutlich niedriger ausfällt als im Durchschnitt einer zu bestimmenden Periode, kann ein wichtiger Hinweisgeber dafür sein, welche Populationen im Markt gerade den Handel prägen. Die Kombination von Umsätzen, Kursveränderungen und Prominenz ausgewählter Nachrichten ist ein Thema, das ein ganzes Buch füllen würde.
Was bringt die Marktanalyse?
Die Marktanalyse ersetzt nicht jene anderer korrespondierender Systeme, wie die Wirtschaft, die gesellschaftliche Entwicklung (zum Beispiel die zunehmende Relevanz ethischen Investierens), die Rechtsprechung, wissenschaftliche Entwicklung u.a.m. Sie eröffnet aber eine andere Perspektive indem sie Einblick gewährt, wie andere mit der Meldeflut umgehen, was sie als wichtig ansehen und was nicht und sie gibt wesentliche Hinweise auf die Zusammensetzung der Population, die in einer bestimmten Phase den Ton angibt, wie zum Beispiel passive Investoren, die aktive Entscheide aufgrund von Makrodaten auf Allokationsebene treffen, Value-Investoren, Momentum-Investoren, Themen-Anleger, Faktor-Modellierer u.a.m. Diese Betrachtungen möchte ich mit einem Zitat aus Individualismus und wirtschaftliche Ordnung von Friedrich A. von Hayek schliessen: "Das bedeutungsvollste an diesem System ist die Wirtschaftlichkeit, mit der es das Wissen ausnützt, d.h., wie wenig die einzelnen Teilnehmer zu wissen brauchen um die richtige Handlung vornehmen zu können. In abgekürzter Form, durch eine Art von Symbol wird nur die wesentlichste Information weitergegeben und zwar nur an die, welche es angeht".
Alfons Cortés
Senior Partner
Unifinanz Trust reg.
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